Buchmalerei

Dem Stifter als Kunsthistoriker war und ist es ein Anliegen, möglichst viele Sparten frühmittelalterlichen Kulturschaffens zu berücksichtigen. In der Stiftung sind daher auch Forschungen zur Buchmalerei angesiedelt.

Liber Amicorum

Beitrag Katrin Roth-Rubi, Die Ornamentik. Konzept und Bildersprache, in: Peter Erhart (Hrsg.), Im Archiv der Namen. Der St. Galler Liber Amicorum aus der Zeit Karls des Grossen, Stiftsarchiv St. Gallen 2023, S. 17–74.

Gedenkbuch pagina 8/9: Doppelseite ohne Namenseinträge dank heutiger Technologie

Abstract (Übersetzung ins Englische nicht in die Monographie aufgenommen)

Transl. John Mitchell, University of East Anglia, Norwich (UEA)

The 25 surviving pages are decorated with double arcades, and fall into two gatherings. On each page, the field within each arch is subdivided by a ‘candelabra’ – a thin stem topped by a crowning ornament – into two narrow vertical columns, which are now filled with names. It has long been known that three lists are entered on pp. 8/9, the central bifolium of the first of the two gatherings, and on the following verso, p. 10, at the beginning of the memorial book (Liber Amicorum). These include the names of the rulers of the kingdom/realm, aristocrats and magnates. From these lists the codex can be dated to the year 812.

At first sight the ornamental apparatus of the manuscript appears to be bewilderingly diverse, heterogeneous and uneven in quality. Pages 1-7 consist of discrete units, while the following sides are laid out as double-page openings, each of which has uniform decoration across both facing pages. The change in arrangement corresponds to a change in pictorial vocabulary and concept. While the arcades in the first section (Section A, pp. 1-7) are conceived as planar florally ornamented bands, in the second section (Section B, pp. 8-15) there is an emphasis on the architectural quality of the arcades. Analysis shows that the motifs of Section A had their origins in the repertoire of the scriptorium at St Gallen, while those of Section B are related to the practice of illuminators working for the Carolingian Court, although with an admixture of variant pictorial formulae, which point to another tradition. Although Section A differs from Section B, details in the ornamentation indicate that the sections were not independent creations; both adhered to a single underlying concept. The graphic ductus of pages 12/13 and 20/21 show that more than one hand was responsible for the codex. 

It is no coincidence that the pages with the earliest entries, which give the names of representatives of the contemporary social elite, are associated with ornamental motifs with courtly connotations. However, the artistic tenor of these pages in no way competes with the bravura of the manuscripts of the Carolingian Court School. In part awkward and injudicious and characterised by an evidently laboured struggle with three-dimensionality, particular motifs are taken up and eclectically combined. In addition, motifs introduced from an alien pictorial repertoire, even though fascinating in their liveliness and artistry, compromise the overall effect of Section B through the ensuing stylistic break. The result is heterogeneity and an impression that the scriptorium on the Steinach was overstretched by the demands of the commission. Section A with its floral patterns is very different; pleasing, fluent and practiced, the conventional St. Gallen repertoire here covers the pages, untroubled by any further ambition. It is clear that the ornamental embellishment of the codex cannot be ranked with the higher levels of manuscript production of the time. However, this does not mean that it lacks art historical significance. On the contrary, it can be taken as a rare witness throwing light on the ways in which a scriptorium might, to its own advantage, seek to engage with the great contemporary centres of production.

Liber Viventium Fabariensis

Albert Bruckner und der Stifter haben die Faksimileedition des Liber viventium Fabariensis begleitet (Stiftsarchiv St. Gallen Cod. Fab. I): Albert Bruckner/Hans Rudolf Sennhauser, Liber viventium Fabariensis. Faksimileedition, Basel 1973.

In Zusammenarbeit mit dem Stiftsarchiv St. Gallen soll ein Kommentarband zur Illumination des Gedenkbuches aus dem Kloster Pfäffers erarbeitet werden.

Zwischenbericht über die Arbeiten am Liber Viventium Fabariensis (LVF) Katrin Roth-Rubi, Ende Mai 2021:

Bestandesaufnahme der Illuminationen im LVF – Gliederung, Hinweise auf Herstellung, Motivinventar (Arbeitstitel)

In der Illumination des Verbrüderungsbuches widerspiegeln sich Herstellung und Auftraggeber. Einblick in beide Bereiche gewährt in erster Linie das Buch selber. Der berühmte Codex ist vielseitig behandelt, aber in den Einzelheiten noch nicht umfänglich analysiert worden. Es fehlen Übersichten über Bildmasse der einzelnen Seiten, über den Motivschatz, die Verteilung und Repetition der Motive, über Qualitätsunterschiede und Spezifika einzelner Seiten. An den geforderten Zusammenstellungen arbeitet die Autorin seit 2019 in Etappen.

Zu den Massen

Mit detaillierten Massaufnahmen bei den Arkadendarstellungen soll Regelhaftes und Abweichendes erfasst werden. Der fragile Erhaltungszustand des Originals setzt Grenzen für die Erhebung. Stichproben ergaben, dass das Faksimile massgetreu mit dem Original übereinstimmt. Zur Schonung des Codex wurden die Daten daher den losen Blättern des Nachdrucks entnommen.

Vorgesehen war, die Arkadendarstellungen per Dezimalsystem zu messen. Es zeigte sich jedoch, dass die Begrenzung einzelner Architekturteile in Millimetern oft nicht einschlägig festzuhalten sind, da breitere Feder- oder Pinselstriche, konturübergreifende Binnenfärbung oder schräge Linienführung unvermeidlich Unschärfen bringen. Ein Millimeter-Raster ist zu engmaschig für die angestrebte Zielsetzung. Grössere Masseinheiten entsprechen eher der Wirklichkeit künstlerischer Darstellungsweise. Anderseits belegen Linierungen und gut messbare Konstanten, dass mit einem Raster illuminiert wurde. Signifikant sind:

  • Gesamthöhe der Arkaden: 240 mm           30 x 8 mm
  • Radius der Bögen:                   40 mm             5 x 8 mm
  • Höhe der Basen:                      16 mm             2 x 8 mm

Gemeinsamer Nenner der Strecken sind 8 mm. Auf Grund dieser Erkenntnis wurden die Masse nicht nach dem Dezimalsystem, sondern nach werkimmanenten Einheiten aufgenommen. Halbe Einheiten (4 mm) sind gebräuchlich, kleinere Unterteilungen von einem Viertel treten kaum auf.

Es wird Forschungsaufgabe sein, die Relevanz der 8 mm als Masseinheit zu verfolgen.

Zum Motivschatz

Die verwirrende Vielfalt des Codex-Dekors ist auch bei vielfachem Durchblättern schwer zu überblicken. Die starke Gebundenheit der Motivformen ermöglicht aber Typisierungen. Sie wurden für Kapitelle, Säulen-, Bogen- und Zwickelornamente durchgeführt, die Typen jeweils definiert und in Katalogen aufgeführt. Bestimmung und Nummerierung eines Typ erfolgten für jede Kategorie bei Durchsicht des Codex von Anfang bis zum Ende; die Typennummern widerspiegeln somit die Reihenfolge ihres ersten Auftretens innerhalb des Codex.

Als Ausgangspunkt und Grundlage für das Verständnis der Memorialteil-Anlage wurden an Hand der Typen Horizontal-/Vertikal-Tabellen erstellt: in der ersten Spalte die steigenden Seitenzahlen, in der Kopfzeile die Motivtypen, variabel je nach Fragestellungen.

Sich abzeichnende Resultate nach Faszikel 1–4/Arkadenseiten, jeweils einem Evangelienteil folgend, vereinfacht:

Kapitelle: Die Wiederholung von Typen setzt im 2. Faszikel ein und wächst mit zunehmender Lagenzahl.

Beispiel p. 92

Säulendekor: die meisten Säulenmotive figurieren bereits in Faszikel 1; der Erfindungsgeist ist damit nicht erschöpft, die Dynamik nimmt aber stetig ab.

Bogendekor: mit Faszikel 2 tritt ein Wechsel in der Ornamentik der Bögen ein: ein spezifisches Rankenmotiv erscheint neu und überwiegt danach.

Beispiel p. 126

Im Gesamten: mit Faszikel 3 dominiert Repetition; in Faszikel 4 wird zwar noch immer auf den Motivschatz der vorangehenden Faszikel gegriffen, qualitativ aber unvergleichlich schlechter; die Bilddimensionen bleiben sich gleich.

Die Typisierung der Motive hat erstaunliche Einsichten in das Werk gezeitigt. Mit der intensiven Beschäftigung wurde aber auch klar, dass dem äusserst komplexen Gebilde der Illumination nur mit einem Seiten-für-Seiten-Katalog gerecht werden kann, in dem die Vielzahl der Beobachtungen aufgeführt und nach gleichem Schema übersichtlich dargestellt werden. Dieser Grundlagenkatalog besteht in den Grundzügen. Er kann und sollte erweitert werden, indem paläographische Beobachtungen und Bemerkungen zu den eingetragenen Namen angefügt werden. Ein solcher Katalog dürfte ein Novum für Buchilluminationen sein und ein Arbeitsinstrument, das Bestand haben wird.